Wieder erwache ich am Morgen recht früh. Aber da ich gestern Abend ja auch gegen zehn Uhr schon im Bett war, ist das völlig in Ordnung so. Bereits vor halb acht bin ich auf. Das Wetter hinter der Gardine erweist sich als passabel. Zwar bewölkt, aber es sieht wenigstens nicht nach Regen aus. Barfuß tapse ich hinüber ins Bad.
Heute, so habe ich beschlossen, will ich einmal ein Auge auf die Uhr halten. Ich will doch einmal sehen wie lange ich, vom Aufstehen an, wirklich brauche, bis ich komplett fertig bin. Und komplett heißt für mich ausgehfertig an der Tür. Quasi vom aus dem Bett wälzen, bis zum Abmarsch auf Stöckeln.
Dazu habe ich meine Perücke, wie eigentlich immer schon, noch am Vorabend fertig frisiert. Ich habe Slip, Korselett und Strümpfe herausgelegt und Rock, Bluse und Blazer auf ihren Bügeln seitlich an den Kleiderschrank gehängt. Die Handtasche ist bereits gepackt und die dazu passenden Schuhe stehen parat.
Nach einer kurzen, aber intensiven Dusche folgt sogleich die Rasur. Dann schnell die kühle Tageslotion dünn aufgetragen und zurück ins Schlafzimmer gehuscht. Die bereitgelegte Wäsche ist schnell angezogen, auch wenn die zahllosen Haken des Korseletts ein wenig aufhalten. Doch selbst die Platzierung der sonst manchmal ein wenig störrischen Polster, an Hüften und Po, geht heute flott von der Hand. Alles eine Sache der Übung eben.
Und dank meiner jetzt ja praktisch schon zwei Wochen langen Übung, bereiten mir auch meine Nylons und die Halter nicht mehr die geringsten Probleme. Und dass, obwohl meine Fingernägel inzwischen eine richtig schöne Länge bekommen haben. Die waren vor dem Urlaub zwar schon für einen Mann recht lang, aber die zwei Wochen hier im Urlaub, haben richtige Krallen daraus werden lassen. Und immer sehr gut gefeilt und geformt habe ich sie und natürlich toll lackiert.
Dann wieder zurück ins Bad. Der Spiegel ist zwischenzeitlich bereits wieder klar, der Dampf aus der Dusche hat sich verzogen.
Konzentriert lege ich mein Makeup auf. Zunächst im Bartbereich Camouflage, dann im ganzen Gesicht eine helle Teint Grundierung und anschließend das Fixierpuder. Dann grau-beiger Puder unter dem Kinn und im Halsbereich, das schattiert die raue Haut ein wenig besser. Anschließend zwei hellere, bzw. goldbraune Puder im Gesicht, sowie ein wenig Rouge, was meine Wangenknochen betont und mein Gesicht etwas schmaler wirken lässt. Dass alles kaschiert, richtig angewandt, die etwas eckigen Gesichtszüge und ich erhalte ein wenig Urlaubsbräune. Auch die Handhabung von Wimperntusche, Kajal, Lidschatten & Co sind mir inzwischen total vertraut. Die Handgriffe und Abläufe sitzen. Zum Schluss der obligatorische Lippenstift und ich bin fertig.
Schnell wieder hinüber ins Schlafzimmer. Die Perücke wartet. Als sie richtig sitzt, steht wieder Caroline vor mir im großen Spiegel. Es ist schon erstaunlich, oder sogar erschreckend, aber mit aufsetzen der Perücke, mit der richtigen Frisur, wird aus der geschminkten und feminin gekleideten, aber irgendwie doch noch immer erkennbaren Männergestalt, sekundenschnell eine Frau.
Andererseits ist das völlig logisch. Das, mein Männergesicht, ist mir seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten vertraut. Das habe ich ewige Zeiten bei jedem Blick in den Spiegel gesehen. Das Gesicht von Caroline hingegen kenne ich zwar jetzt auch bereits einige Monate lang, doch vertraut ist es mir noch immer nicht so ganz. Aber, und auch das weiß ich inzwischen, vergeht das im Laufe der ersten Stunden. Wenn ich mich erst einige Male so im Spiegel gesehen habe, wird es normal. Normal im Sinne von völlig richtig für mich, wenn ich Frauenkleidung trage.
Nun die Bluse, deren ‚verkehrte' Knöpfe mittlerweile allen Schrecken verloren haben. Dann der Rock. Ich habe inzwischen sogar endlich gelernt Knopf und Reißverschluss hinten zu schließen. Auf der Kommode wo die Perücke auf ihrem Ständer stand, liegt auch mein Schmuck schon bereit. Halskette, Armreif, Ohrclips und Ringe sind schnell angelegt, genauso wie die zierliche Uhr.
Ich trete auf den Flur hinaus, ziehe dabei meinen grauen Blazer über und schlüpfe in meine edlen, hochhackigen, grauen Wildlederpumps. Nun noch die Handtasche vom Schränkchen genommen und ich bin fertig!
Das waren jetzt, nach einem Blick auf die Küchenuhr, ……. gerade einmal ……. sechsundfünfzig Minuten, Wahnsinn! Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so schnell, innerhalb einer Stunde, und vor allem so überzeugend, als Frau gestylt sein könnte. Da bliebe ja sogar noch genügend Zeit für ein kleines Frühstück, um ohne Hast und vor allem pünktlich ins Büro zu kommen.
Ins Büro? Da ist er ja schon wieder, dieser verrückte Gedanke! Er hat sich irgendwo in meinen Gehirnwindungen festgesetzt. Aber dort wird er auch bleiben müssen. Jedenfalls solange wie die anderen, die rationalen Gedanken, die Oberhand behalten. Warum soll ich mich auch ohne zwingenden Grund einem Spießrutenlauf aussetzen. Das war doch bereits alles mit meinem ‚inneren Ich' abgesprochen. Und trotzdem, trotzdem kommen diese verrückten Gedanken und Ideen immer wieder an die Oberfläche.
Aber was heißt das schon, mit meinem inneren Ich! Offensichtlich habe ich zwei davon.
Ein männliches Ich. Uralt! Lange Jahre benutzt und jetzt, ziemlich erschreckend für mich, vor zwei Wochen beinahe abgelegt wie ein alter Schuh. Und mein weibliches Ich! Jung, frisch und unerfahren. Gerade einmal vielleicht zwei Jahre alt? In der Zeit turboschnell gewachsen, gereift und genutzt. Und seit jetzt zwei Wochen täglich nonstop trainiert und gefordert.
Welches ist denn nun mein richtiges Ich?
Keine Ahnung. Aber momentan ist es eher das weibliche, das weiche und feminine Ich. Jenes das mich zurzeit praktisch zu hundert Prozent lenkt. Immer weniger habe ich innerhalb der letzten zehn bis zwölf Tage an, oder als, Stefan gedacht, oder agiert. Seit ich vierundzwanzig Stunden am Tag Caroline bin, denke und handle ich auch immer mehr wie sie.
Und jetzt stehe ich hier, als Caroline, als Frau, hinter der noch verschlossenen Tür meines dänischen Ferienhauses und möchte doch am liebsten gleich losgehen. Aber wohin? Es ist noch vor halb neun Uhr, es ist Sonntag und ich habe noch nicht einmal einen Bissen gefrühstückt. So ziehe ich den Blazer wieder aus, und hänge ihn auf einen Bügel an die Garderobe. Die Handtasche kommt auf das kleine schmale Garderobenschränkchen und ich gehe zurück um mir mein Frühstück zu bereiten.
Und während ich das Brot, die Konfitüre und den Kaffee genieße, blättere ich in der aktuellen Touristenzeitung. In Thistedt ist heute verkaufsoffener Sonntag! Da wird's in dem kleinen Städtchen wohl recht voll und eng sein. Und ein Kramermark, das was wir in Deutschland als Flohmarkt bezeichnen, findet in der Fußgängerzone statt. Beides könnte mich reizen, zumal es draußen trocken und nur leicht bewölkt ist.
Schnell räume ich den Tisch ab und spüle das wenige Geschirr. Dann mache ich mein Bett und schließe die Fenster bis auf den kleinen Lüftungsspalt.
Auf der großen Karte von Nord- und Mitteljütland im Flur, präge ich mir erst einmal die Fahrstrecke ein. Zunächst hinüber nach Lemvig. Weiter am Limfjord entlang, dann über die Brücke am Oddesund, und anschließend nordwärts. Das werden wohl so mindestens eine, wenn nicht sogar an die eineinhalb Stunden Fahrzeit sein, denke ich.
Gut, jetzt mache ich mich fertig, da fahre ich heute mal hin!
Doch fertig bin ich ja bereits seit einer knappen Stunde. In meinem grauen, unten leicht ausgestellten Rock mit dem diagonalen weinroten Muster und der dazu passenden weinrot-violettfarbenen Bluse mit ihren Dreiviertelärmeln. Selbst mein Schmuck ist farblich darauf abgestimmt. Und die zarten, grauen Strümpfe und meine grauen Wildlederpumps, sowie der graue Blazer harmonieren damit auch richtig gut.
So, oder so ähnlich, ist meine Abteilungsleiterin auch oft gekleidet. So würde ich im Büro wahrscheinlich gar nicht, und wenn, dann höchstens positiv auffallen.
Andererseits, auf diesen High-Heels durch die Fußgängerzone? Das war schon letzte Woche in Lemvig nicht einfach. Und auch vorgestern, mit den dunkelblauen, dünnen Stelzen, hatte ich in Ulfborg doch so ein paar kleine Probleme. Vor allem mit den Ritzen der Gehwegplatten. Und wer weiß, was die da in Thistedt, in der Fußgängerzone, für Beläge auf den Wegen haben?
Und zu auffällig sind diese schönen Schuhe auch. So etwas habe ich bisher hier, außer bei der Anwältin in Lemvig, noch bei keiner anderen Frau gesehen. Dann doch lieber die bequemen schwarzen. Mit deren Absätzen habe ich da bestimmt weniger Probleme. Dazu passt dann auch meine schwarze Jacke viel besser.
Oder die gesteppte, beerefarbene Übergangsjacke. Deren Farbe passt, wie ich feststelle, ziemlich gut zu den Streifen im Rock. Allerdings ist die innen mit einem wirklich nicht gerade tollen Muster versehen.
Ein Leopardenfellmuster! Allerdings in Weiß und verschiedenen lila und Beere Tönen. Jedoch die schmalen Umschläge an den Ärmeln klappe ich herunter. So fällt das längst nicht mehr so auf. Außerdem sind meine Handgelenke nun nicht mehr so nackt. Nur am Kragen noch, ist jetzt das auffällige Innenfutter zu sehen, doch da stört es hoffentlich niemanden. Und mein Halstuch in diversen Beerefarben vertuscht auch noch ziemlich viel davon.
Und diese Jacke ist auch viel winddichter als der zugegeben ziemlich dünne, graue Blazer. Und windig ist es draußen wieder. Außerdem ist mir meine schwarze Handtasche mit den zahlreichen Einzelfächern auch lieber als die kleine graue, in die längst nicht alles Nötige hineinpasste.
Gedacht, getan! Ich packe den Inhalt der Handtasche um und ergänze ihn um einen Stift und Notizblock, mein Lieblingsparfüm und ein Päckchen Papiertaschentücher. Auch mein Handy passt in die schwarze Handtasche noch locker mit hinein.
Schnell schlüpfe ich in die schwarzen Pumps mit den bequemen sieben Zentimeter Absätzen. Um sie ein wenig aufzupeppen clipse ich vorne jeweils eine schwarze Stoffblüte drauf. Diese Schuh- oder Schmuckclipse habe ich bei ebay gefunden. Ich habe auch welche in Silber- oder Goldfarben und sie werten meine manchmal ziemlich schlichten Schuhe immer etwas auf. Noch einmal schnell vor den Spiegel und mein Outfit kritisch überprüft. Nicht schlecht, aber die elegant grauen Nylons an meinen Beinen, die zu dem grauen Outfit super gut gepasst haben, gefallen mir nun nicht mehr so richtig.
Also zurück ins Schlafzimmer und die grauen seidigen Hüllen von den Beinen gestreift. Sie landen auf dem Bett und ich ziehe die Schublade mit den Strümpfen auf. Hautfarbene möchte ich und so greife ich nach drei bereits leicht zerknitterten Tüten. Skin, Teint und Perle habe ich zur Auswahl. Skin hatte ich gestern an, aber in der Tüte mit der Farbe Perle sind auch gleich drei Stück drin. Also Ersatzstrumpf inklusive. Kurz darauf sitzen die Strümpfe fest und sicher. Das habe ich mittlerweile auch gelernt, stelle ich erstaunt fest. Die Halter ohne groß hinzusehen anzuklipsen!
Ein abschließender Blick in den großen ‚frauhohen' Flurspiegel, ……….? Ja! Das ist es. Feminin, modisch, aber gleichzeitig schlicht und nicht zu überkandidelt. Eine Dame beim sonntäglichen Ausflug.
Schnell trippele ich durchs Haus, kontrolliere noch einmal die Fenster, schlüpfe endgültig in die Jacke, schlinge mir das schon bereitliegende Tuch um und greife nach meiner Handtasche.
Das Licht ist überall ausgeschaltet, der Ofen hat nur noch Restwärme, weil ich nichts nachgelegt habe. Die Autoschlüssel habe ich auch.
Nach kurzem Durchatmen trete ich hinaus vor die Tür. Gerade habe ich sie abgeschlossen, als zwei kleine Mädchen vorüber rennen, hin zum Nachbarhaus. Aha! Das sind die, die gestern Abend noch im Dunkeln angekommen sind. Na gut, dann habe ich jetzt für die letzte Woche neue Nachbarn. Die Frau guckt aus der offenen Haustür kurz zu mir hinüber, nickt einen Gruß und widmet sich dann weiter ihren beiden Töchtern.
Ich habe das Gefühl von ihnen nicht großartig beobachtet zu werden, als ich zum Auto gehe. Trotzdem schnellen Puls und Blutdruck in die Höhe und ich steige rasch ein. Zwei Mädchen im Alter von vielleicht vier bis sechs Jahren sind gute Beobachter und eventuell auch noch neugierig.
Die Fahrt nach Thistedt hinauf verläuft ereignislos. Es ist wenig Verkehr, heute am Sonntag. Das war gestern, am Samstag, zum Bettenwechsel, bestimmt anders. Nach knapp eineinhalb Stunden erreiche ich die Stadt und die Suche nach einem Parkplatz beginnt.
Offensichtlich ist doch einiges los hier, aber ich habe Glück. Ein Kleinlaster schiebt sich, vorn und hinten von zwei Leuten eingewiesen, langsam rückwärts aus einer Tordurchfahrt. Als er dann, nach endlosem vor und zurück rangieren, endlich weg ist, gibt er den Blick auf eine ideale Parklücke auf dem rechten Seitenstreifen frei. Leider ist sie von einem soliden Holzbock, Lübecker Hütchen und rot-weißem Flatterband eingefasst. Doch einer der beiden Einweiser gibt mir ein Zeichen, räumt die Sperren weg und lädt mich mit einer großzügigen Armbewegung ein, die Parklücke zu nutzen. Schnell und ohne meine sonstige Kurbelei erreiche ich sie und stehe auf Anhieb richtig.
Ziemlich gelassen, entgegen meiner sonstigen ersten, leichten Verkrampftheit bei meinen Ausflügen, steige ich aus und bedanke mich bei dem jungen Mann mit einem Lächeln. Ich nehme meine Handtasche vom Beifahrersitz, schließe das Auto ab und folge den zahlreichen Menschen, die offensichtlich in Richtung Fußgängerzone unterwegs sind. Hier zwischen den Häusern ist der Wind stärker und ich bin froh die dickere Jacke angezogen zu haben und mein Halstuch zu tragen.
Für dänische Kleinstadtverhältnisse sind unheimlich viele Menschen unterwegs. Der verkaufsoffene Sonntag scheint richtige Massen anzuziehen. In den nächsten Minuten sehe ich, zu meinem Erstaunen, sogar etliche Frauen in teilweise recht kurzen Röcken und Kleidern.
Klar! Es ist ja Sonntag und der Gottesdienst ist soeben auch zu Ende gegangen. Viele seiner Besucherinnen scheinen eine Art Modenschau veranstaltet zu haben. Eine einzige sehe ich, die Stiefel trägt, aber die anderen haben Pumps bzw. Trottoirs an und dazu meistens hautfarbene, oder schwarze, aber transparente Strumpfhosen. Auch sie sind offenbar auf dem Weg von der Kirche in die nahe Fußgängerzone. Ich werde sicherer, reihe mich in den Strom ein, denn hier falle ich in Rock und Strümpfen tatsächlich endlich einmal recht wenig auf.
Bereits an der nächsten Ecke beginnt die gågade, die Fußgängerzone. Die kleinen Schaufenster der diversen Läden interessieren mich und ich bummle entspannt daran entlang, als mir plötzlich in einem Schaufenster die tollsten Pumps ins Auge springen. Und in der allerersten Reihe, gleich hinter der Scheibe, alles sehr ähnliche, schwarze, mit dünnen, hohen Absätzen. Erst bei genauerem Hinsehen zeigen sich kleine Unterschiede.
Einige haben unten am Abschluss des Absatzes eine kleine Silberfigur. Ein Paar endet in Messer und Gabel. Eines hat jeweils ein winziges kleines Speichenrädchen daran angebracht. Andere erinnern mich irgendwie an die Zunftzeichen von Handwerkern. Die witzigsten Konstruktionen sind zu sehen, aber das schnell geschossene Foto gibt nichts her, die Fensterscheibe spiegelt zu sehr.
Und während ich noch schaue und staune, erscheint auf der obersten Treppenstufe ein älterer Herr in Lederschürze. Der Schuhmachermeister persönlich, denn oben drüber steht ja das es sich bei diesem Laden um den Skomager handelt. Er grinst über meine gebückte Haltung vor dem Schaufenster und spricht mich an.
Leider kann ich sein genuscheltes Dänisch nicht verstehen. Und ohne daran zu denken, dass ich jetzt aufpassen muss und versuchen sollte, möglichst weiblich und leise zu sprechen, antworte ich auf Deutsch.
Er grinst nun noch mehr und sagt etwas in einem Kauderwelsch aus Dänisch, Deutsch und Englisch. Ich verstehe so viel, dass ich doch einmal in den Laden hineinsehen soll und folge ihm die wenigen Stufen hinauf.
An der Decke hängen gespannte Schnüre und daran die verschiedensten Schuhe. Hässliche Treter darunter, merkwürdige Kinderschuhe, aber auch tolle Pumps aus den 60ern. In den zahllosen Regalen dasselbe Bild. Überall Schuhe, Schuhe und nochmals Schuhe.
Wie nur findet der sich hier zurecht? Was, wenn die Kunden kommen und ihre Schuhe abholen wollen? Nirgends sind Nummern zu erkennen, oder andere Kennzeichen. Wie kann der den Kunden bloß die richtigen Schuhe zuordnen?
Und dann diese kleinen beleuchteten Vitrinen und Schaukästen. Darin zig Schuhminiaturen. Alle möglichen Stilrichtungen sind dabei, auch ganz wilde in schrillen Farben und Formen. Und der Schuhmachermeister redet dabei die ganze Zeit über auf mich ein.
Endlich bin ich in der Lage ihm geistig zu folgen. Das ist hier gar kein Schuhgeschäft und auch die Reparatur von Schuhen scheint hier nur Nebensache zu sein. Das hier ist ein Schuhmuseum!
Ich bin platt. Dass es so etwas überhaupt gibt. Und der Herr in seiner fleckigen Schürze redet weiter. Er zeigt auf merkwürdig bräunliche, halb durchsichtige Kinderschuhe. Die sind aus der Kriegszeit, aus Fischleder gemacht und hielten deshalb auch nur kurze Zeit. Und diese hier, sind von 1892. Hochzeitsschuhe für eine damalige Braut. Und jene dort, die mit hellblauer Seide bezogenen ziemlich hochhackigen klassischen Pumps. 1962 extra für einen Ball angefertigt. Und, und, und. Er erzählt und ich kann ihm doch kaum folgen.
Dann fällt sein Blick auf meine schlichten schwarzen Pumps. Er nickt anerkennend, sagt etwas das wie Lob klingt und fordert mich auf mich zu setzen und ihm einen davon zu geben. Ich sitze mit einer Pobacke auf dem hohen Hocker vor dem Tresen und reiche ihm meinen rechten Schuh.
Er dreht und wendet ihn, schaut intensiv auf die Sohle, drückt hier, presst dort und prüft den Absatz. Dann walkt er meinen Pump vorsichtig in seinen großen Händen, an denen die schwarzen Spuren des Schuhklebers zu sehen sind.
Genau, danach riecht es hier so penetrant, ….. der Kleber!
Er nickt wieder bedächtig und reicht mir den Schuh zurück. Dann will er den anderen auch inspizieren. Das gleiche Ritual wie eben, folgt nochmals. Genaue Inspektion der Sohle und des Absatzes, prüfendes drücken mit dem Daumen auf eine Stelle der Sohle und schließlich behutsames hin und her walken des ganzen Schuhs. Dann bekomme ich auch meinen linken Pump wieder zurück.
Der Schuhmacher scheint zufrieden mit der Qualität und sagt es mir auch. Sehr guter Schuh, grinst er. Sehr gutes Material und sehr gut verarbeitet. Das Oberleder ist hervorragend gearbeitet. Der Absatz und die Sohlen auch. Die Schuhe sind fest im Rahmen und sehr schön weich im Leder. Die halten eine Ewigkeit! Aber ich sollte aufpassen und sie immer gut trocknen. Er zeigt mir auch gleich wie, indem er einen Schuh von seinem Arbeitstisch nimmt und behutsam mit geknülltem Zeitungspapier leicht ausstopft.
Und die Sohlen müssen mal gemacht werden, sagt er. An der Stelle meines Ballens werden sie zuerst dünn. Nicht erst warten bis die Sohle durchgelaufen ist. Bitte vorher damit zum Schuhmachermeister. Aber jetzt noch nicht, das wäre Geldverschwendung.
Ich bin platt! Das alles hat er in den wenigen Sekunden erkannt? Ein absoluter Fachmann. Und dabei habe ich diese Schuhe erst zwei Jahre. Viel draußen unterwegs war ich damit eigentlich auch noch nicht. Allerdings habe ich diese Schuhe zum Üben viele, viele Abende und ganze Wochenenden Zuhause getragen. Und ein paar Mal spät abends, versteckt unter einer Jeans, zum Trainieren auf stillen Straßen. Na ja, und in den letzten zwei Wochen hier in Dänemark natürlich. Aber das die Sohlen bereits dünn werden?
Der Schuhmachermeister grinst als ich die Stelle unter meinem Ballen noch einmal abtaste. Dann versucht er mir zu erklären, dass die ziemlich dünne Ledersohle eigentlich zuerst immer an diesen neuralgischen Stellen ganz dünn wird. Dort liegt ja auch, außer auf dem Absatz, das meiste Gewicht. Einfach gut beobachten die Sohlen, rät er mir.
Nach weiteren Minuten, in denen andere Besucher hereinkommen, verabschiede ich mich. Draußen schaue ich noch einmal in das Schaufenster und bewundere die tollen Schuhe. Dann schlendere ich weiter.
Ein älterer Herr im Anzug und über dem Arm hängenden Stockschirm, der gegenüber auf der anderen Straßenseite steht, mustert mich. Das bemerke ich genau. Irgendwie scheine ich seine Aufmerksamkeit geweckt zu haben. Vielleicht hat mich mein Bewegungsablauf verraten, oder eine nicht richtig weibliche Geste. Oder ist es mein Outfit mit Rock? Egal, was soll mir hier schon passieren?
Von weitem dringt Musik herüber. Westernmusik genau genommen. Ich lasse mich mit der Menge in diese Richtung treiben. Nach zwei Ladenfronten biege ich um eine Ecke und sehe eine aus Holzplatten aufgebaute Tanzfläche. Das Gedränge um mich herum nimmt zu und dann erscheinen sie.
Die Männer in karierten Hemden, Stetsonhüte auf dem Kopf, in Jeans und Stiefeln. Die Damen in weißen Blusen, bunten, weiten Röcken und mit Petticoats darunter. Eine echte Squaredance Truppe. Und toll sehen sie aus, die Damen. Die Röcke wippen über den Petticoats, als sie an den Händen der Herren auf die Tanzfläche geführt werden. Genau wie bei uns Zuhause damals, im Sportverein die Truppe, denen wir einmal beim Training zugesehen haben. Damals, als meine Frau sich das angucken wollte. Doch im Rock tanzen? Niemals! Und überhaupt, wo doch der Größenunterschied bei uns so groß und verkehrt herum war……? Da ist niemals etwas draus geworden.
Wobei ………… vielleicht hätte sie als Herr tanzen sollen und ich als Dame. Da hätte es mit der Größe sicher besser gepasst. Sie in Cowboystiefeln mit Absatz und ich, so wie jetzt als Dame?
Vor meinem inneren Auge entsteht ein Bild. Ich, als Frau, ………. im Prinzip so wie ich jetzt schon ganze zwei Wochen komplett lebe. Und dann mit einem bauschigen Petticoat und auf Pumps, im farbenfrohen Dress und Squaredance trainieren. So wie die Damen vor mir, die einfach toll aussehen.
Sekunden nachdem sie Aufstellung genommen haben, beginnt die Musik und der Caller zählt die Paare ein. In immer neuen, teilweise aber sich auch wiederholenden Figuren, wirbeln die Paare über die Fläche. Drei der acht Frauen tragen Stiefel unter ihren weiten Röcken, die anderen fünf schlichte Pumps mit nicht allzu hohen Absätzen. Klar, bei den wilden Figuren brauchen die einen festen Stand, das geht bestimmt nicht auf hohen Stöckeln.
Und dann glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Unter dem knallroten Rock der einen Lady, und ihrem bauschigen weiß-roten Petticoat meine ich tatsächlich Strumpfverstärkungen aufblitzen zu sehen, wenn sie sich besonders schwungvoll dreht. Oder ist das nur das verstärkte Oberteil einer Strumpfhose?
Ich behalte sie im Auge, und wirklich, sie trägt, ganz weit ihre schlanken Beine hinauf reichende Strümpfe. Die hat Mut, die Lady! Andererseits, auch ich trage, seit jetzt ziemlich genau zwei Wochen, praktisch ständig Damenstrümpfe unterm Rock. Und es fühlt sich gut an! Gut im Sinne von korrekt, richtig und für eine Dame durchaus angemessen angezogen.
Nur stehe ich nicht etwas erhöht auf diesem Podest! Und mein Rock ist auch nicht weit geschnitten, sondern oben gerade und unten in leichter A-Form. Außerdem trage ich keinen Petticoat darunter. Aber gut aussehen tut die Tanzgruppe allemal.
Ich nehme meine kleine, neue Digital Kamera hoch und mache ein paar Fotos von der Truppe. In schneller Folge mache ich noch gezielt etliche Aufnahmen von den Damen in Bewegung. Tatsächlich erwische ich die Lady mit den Strümpfen einmal richtig toll.
Während das zweite Musikstück läuft und die Truppe erneut über die Bretter wirbelt, wird das Gedränge um mich herum schlimmer. Der ältere Herr von vorhin, steht jetzt direkt neben mir, schaut mich prüfend an. Dann grinst er irgendwie schäbig und rückt noch dichter an mich heran. Hat der bemerkt das ich ganz gezielt die Frauen fotografiert habe?
Wir haben jetzt bereits Körperkontakt! Sein Bauch drückt sich an meine linke Seite, nun wird es mir doch so ganz langsam entschieden zu eng hier. Heiß und kalt wird mir dann jedoch, als ich spüre wie sich sein harter und erigierter Penis an meine Hüfte drückt. Entsetzten macht sich in mir breit.
Hastig drehe ich mich ein Stück um und ramme dabei dem Typen meine Handtasche in die ehemaligen Weichteile. Dabei muss ich gut getroffen haben, denn er zuckt zusammen und verzieht das Gesicht. Das tue ich nun auch, mich verziehen. Bloß weg hier.
Eilig löse ich mich aus dem Pulk, mache Platz für andere Leute, die unbedingt weiter nach vorn wollen.
Sekunden später kann ich aufatmen, Platz und Luft um mich herum! Ich folge der Straße und lande, nachdem ich einen kleinen Platz überquert habe, in der Oestergade. Der Drängler ist auch nirgends mehr zu sehen, erleichtert atme ich auf. Auch hier sind praktisch alle Geschäfte geöffnet und ich schlendere weiter, bis ich unten, am Hafen ankomme und auch wieder ziemlich entspannt bin. Hier gibt's nicht viel zu sehen, es ist Sonntagsruhe und ich kehre wieder um.
Auf dem Rückweg, bei dem ich mich immer wieder sichernd umschaue, gehe ich in das kleine Handarbeitsgeschäft hinein, das auch diverse Stickvorlagen im Fenster anbietet. Ich mache gelegentlich auch Stickbilder, aber es müssen schon besondere Bilder sein.
Eine Zeit lang waren es Blumen. Ein Hersteller hatte eine ganze Serie von Vorlagen herausgebracht. Allesamt in derselben Größe und im selben Stil. Die zierten mein Arbeitszimmer Zuhause, denn meine Frau mochte diesen, wie sie es nannte ‚Oma-Stil' nicht.
Hier nun sehe ich eine Straßenfront. Mag sein, es handelt sich um eine Ansicht hier aus Thisted. Auf jeden Fall ist es eine dänische Straße, mit ihren typischen Farben, Fassaden und Baustilen. Der Preis ist ganz schön happig, …… umgerechnet etwa gut achtzig Euro. Allerdings ist, wie ich dann sehe, auch das gesamte Garn bereits dabei. Und das fertige Werk ist recht groß.
Einen Augenblick kämpfe ich mit mir, dann kaufe ich das Set! Und weil ich natürlich keinen Stickrahmen mit in den Urlaub genommen habe, nehme ich auch noch einen preiswerten Plastikrahmen mit, sowie einen Satz Nadeln. Zusätzlich nehme ich noch ein Stück Stramin, Stickuntergrund, und eine Auswahl an weiterem Garn. Und einen großen Bogen kleinkariertes Papier, um eine Vorlage zeichnen zu können. Die sind wirklich gut ausgestattet hier.
Gerade plötzlich nämlich hat sich die Idee in meinem Kopf gebildet, die hübsche Squaredancerin von vorhin, nach einem Foto als Stickbild nachzustellen. Dazu muss ich natürlich eine Vorlage zeichnen. Nach einem der Fotos natürlich, die ich ja in größerer Zahl vorhin geschossen habe. Und dafür ist das Karopapier und dafür bräuchte ich jetzt noch Buntstifte.
Die Verkäuferin ist freundlich, genauso wie die zahlreichen Kundinnen im Laden. Hier herrscht eine fast schon familiäre Atmosphäre mit leisen Fachgesprächen über Garne, Vorlagen, Techniken usw. Allerdings kann sie mit Buntstiften nicht aufwarten, die muss ich woanders kaufen.
Beschwingt mache ich mich auf den weiteren Rückweg, als mir die Square-Dance Gruppe noch einmal entgegenkommt. Sie marschieren Paarweise, sich an den Händen haltend, dicht an mir vorbei, in Richtung Kirche. Kurz stockt der Zug und die Dame mit dem roten Rock steht wenige Sekunden schräg vor mir. Wenn du wüsstest, denke ich, wenn du wüsstest das wir beide dieselben Sachen unten drunter tragen …….. und ein wohliges kribbeln durchzieht mich.
Dann gehen sie auch schon weiter und ich wende mich den nächsten Geschäften zu. Ein Spielwarengeschäft hat ebenfalls geöffnet. Schon im Schaufenster sehe ich das sie auch Zeichenutensilien führen. Die werden sicher auch Buntstifte haben, die ich für einen Entwurf des Stickbildes unbedingt brauche. Eine flache Blechschachtel mit 24 verschiedenen Buntstiften finde ich hinten im Laden.
Gerade wieder draußen, sehe ich schräg gegenüber, ein Modegeschäft mit schicken Kleidern im Fenster und bleibe davor erst einmal stehen. Ein gemustertes Kleid in Braun-, Beige- und Goldtönen auf schwarzem Grund, hält meinen Blick fest. Das sieht wirklich toll aus denke ich und inspiziere das Schild mit den Angaben. Es soll dreihundert Kronen kosten. Also grob umgerechnet so um die fünfundvierzig Euro. Und es ist, den weiteren Angaben nach, in den Größen sechsunddreißig bis achtundvierzig im Angebot.
Soll ich das mal anprobieren? Einen Augenblick zögere ich, dann siegt die weibliche Neugier in mir, ich trete ein. Es ist ziemlich voll im Geschäft. Zahllose Kundinnen schauen an den diversen Ständern nach allem Möglichen.
Nachdem ich mich orientiert habe und lese das Kjole, also Kleider, hinten zu finden sind, kämpfe ich mich durch einen schmalen Flur dahin durch. Hier ist es relativ leer, Kleider scheinen nicht so stark verlangt zu werden wie Hosen und Jacken, Shirts und Blusen, die weiter vorne angeboten werden. Nach kurzer Suche finde ich das Modell aus dem Schaufenster. Genau genommen hängen hier sogar etliche davon an einem Ständer, und alle in verschiedenen Größen. Gleich finde ich ein Exemplar in meiner Größe und überlege ob ich es anprobieren soll.
Zu einem eventuellen Umtausch noch einmal ganz hier herauf zu fahren, wäre natürlich auch ziemlich blöd. So suche ich einen Augenblick nach den Kabinen. Eine junge Verkäuferin spricht mich an, will das Kleid zur Kasse bringen. Ich frage aber erst mal nach den Umkleidekabinen und bei meiner Stimme wird sie kurz unsicher. Doch sie hat sich schnell wieder im Griff und weist mir die Richtung zum Omklædningsrum.
Drei von den vier Kabinen scheinen frei zu sein, zumindest sind deren Vorhänge offen. Ich hänge das Kleid ab, schließe den Vorhang und beginne mich auszuziehen. Jacke, Bluse und Rock kommen an die Haken an der Wand, bzw. auf den kleinen Hocker. Heute macht es mir längst nicht mehr so viel aus, wie noch vor ein paar Tagen, jetzt im Mieder und langen Damenstrümpfen in einer Umkleidekabine zu stehen.
Das Kleid kommt vorsichtig über den Kopf. Es hat weder Reißverschluss noch Knöpfe, sondern ist durch den weiten Ausschnitt auch so einfach überzustreifen. Und es sitzt auf Anhieb richtig gut! Fühlt sich auch vom weichen Stoff her angenehm auf der Haut an. Nur der Ausschnitt ist echt großzügig. Genaugenommen sehr, sehr großzügig. Vorsichtig ziehe ich die beiden Seiten zur Mitte hin zusammen. Trotzdem habe ich das Gefühl ein gewagtes Dekolleté zu präsentieren. Einen Spiegel suche ich in der Kabine vergeblich, es hilft nichts, ich muss nach draußen.
Dann stehe ich davor und zupfe immer noch am Ausschnitt herum. Das Kleid sitzt ansonsten super, aber nach wenigen Sekunden ist im Ausschnitt bereits wieder die Spitzenverzierung meines Korseletts zu sehen. Nee, so geht das nicht! Schade, aber wohl nicht zu ändern.
Plötzlich steht eine schon ältere Verkäuferin neben mir. Sie hat scheinbar wohl mitbekommen, dass ich schon einige Zeit am Ausschnitt des Kleides herumzerre. Sie hilft mir. Zieht die Schultern zurecht, und die Seiten vom Ausschnitt ein wenig zusammen. Dann nickt sie anerkennend. Doch nach nur zwei, drei Bewegungen meiner Arme ist oben bereits wieder mein Mieder zu sehen.
Sie sagt etwas, das ich nicht verstehe, eilt nach vorne und kommt mit drei verschiedenen Tops wieder zurück. Eines in schwarz, eines in goldbraun und das letzte in Beige, oder taupe. Damit schiebt sie mich zurück in den Omklædningsrum. Ich wähle als erstes das beige Top, aber zunächst muss das Kleid herunter. Doch durch den riesigen Ausschnitt kann ich einfach aus den Ärmeln schlüpfen und das Kleid von den Schultern auf meine Hüften rutschen lassen. Das Top passt gut, die Frau hat Ahnung von Größen. Das Kleid sitzt auch sofort wieder, als ich es hochgezogen habe und in die Ärmel geschlüpft bin.
Und mit dem Top drunter sieht es jetzt auch richtig gut aus. Nur dessen Farbton passt nicht so richtig. Das zweite, das goldbraune ist da schon besser und ich trete damit erneut vor den Spiegel. Die Verkäuferin nickt zufrieden, sagt mir aber in einem Kauderwelsch aus dänisch und deutschen Brocken, ich solle das in sort, in schwarz, noch ausprobieren.
Das erweist sich als Treffer. Da der Untergrund des Kleides ebenfalls schwarz ist, allerdings von den anderen Farbtönen beinahe völlig verdeckt, sieht das mit dem kleinen schwarzen Dreieck im Ausschnitt nun so richtig gut und gelungen aus. Ich entschließe mich beides zu nehmen.
Nachdem ich mich wieder in Bluse, Rock und Jacke geworfen habe, begleitet sie mich nach vorn zur Kasse und verabschiedet sich sehr höflich und freundlich. Ich zahle und verlasse das Geschäft mit einem guten Gefühl.
Ein paar Meter weiter hat sich ein Stand mit original dänischem Soft-Eis etabliert. Ich kann nicht anders, ich kaufe mir ein großes Schokoladen-Softeis. Genüsslich daran schleckend schlendere ich weiter die Straße hinauf.
Auf einer der Bänke weiter vorn, sitzen zwei Männer in, wie ich meine, Seemanns-, Segler-, oder Fischerklamotten. Beide fixieren mich intensiv, als ich mit konzentriert kleinen und schmalspurigen Schritten auf sie zu gehe. Mir wird ein wieder einmal ein wenig mulmig, doch hier wimmelt es von Menschen, sollen die beiden doch gucken.
Sie starren, wie ich im Näherkommen erkenne, sehr auf meine Beine, was ja auch kein Wunder ist. Röcke gehören, abgesehen von einigen Ausnahmen natürlich, momentan nicht so sehr zum täglichen Straßenbild. Außerdem, so erinnere ich mich, haben mir in den letzten zwei Wochen etliche Leute, und da vor allem Frauen, zu meinen Beinen gratuliert.
Wieder einmal nutze ich ein Schaufenster als Spiegel, um zu erkennen das die beiden mich weiter ungeniert anstarren, als drei stämmige, kräftige Frauen aus einem Geschäft schräg gegenüber herauskommen und schnurstracks auf die zwei zusteuern. Dem stumpfen Blick der Kerle folgend, entdecken sie mich und beginnen recht deutlich auf die beiden Männer einzureden. Offensichtlich die dazu gehörigen Frauen und Verstärkung, die in scheinbar deutlichen Worten klar machen, was Sache ist.
Als ich mich umdrehe, kann ich sehen wie die fünf schnurstracks in Richtung Parkplatz entschwinden. Das mache ich nun auch, denn die City ist hier zu Ende. Einfache Wohnhäuser prägen das Bild. Und bis zum Auto habe ich doch ein ganzes Stück zu gehen. So drehe ich um und schlendere zurück. Noch einmal gehe ich an den Schaufenstern und Auslagen entlang und an den Ständen mit dem Kramermarktsachen.
Kaum zu glauben wie entspannt ich inzwischen bin. Nach jetzt zwei Wochen nonstop Frau sein, ist so vieles für mich inzwischen irgendwie selbstverständlich geworden. Das Tragen von flotter Frauenkleidung sowieso. Aber auch mein Auftreten und mein Selbstbewusstsein als Frau. Das hätte ich mir vorher nie träumen lassen, dass es so einfach, natürlich und sicher geht. Wie nur werde ich das im Alltag leben können? Ich glaube fast ich werde doch zur Teilzeitfrau. Nur noch als Mann zur Arbeit gehen und die restliche Zeit als Frau leben?
An einem der letzten Stände, bevor der Kramermarkt endet, sehe ich einen großen Kleiderständer, der mit zahlreichen Klamotten behängt ist. Neugierig trete ich näher. Eigentlich hängt hier nur Damenkleidung und wie ein schneller, prüfender Blick zeigt, alles in Etwa meine Größe. Konzentriert blättere ich die Bügel durch, als mir ein Kleid auffällt!
Die Grundfarbe ist weiß. Darauf großformatige rote Rosen und schwarze Blätter. Ich nehme es heraus und schaue es mir genauer an. Kein Schild verrät die Größe, aber ein Vergleich von Schulterbreite und Länge lässt zumindest den Schluss zu, dass es ziemlich genau die Größe der anderen Kleider, Blusen und Röcke hat. Der Schnitt ist ein wenig altmodisch. Ein relativ großer Ausschnitt in Karre Form, kleine, schräg angesetzte kurze Ärmel, eine deutliche Taille mit Gummizug und ein weit und glockig aufspringendes Unterteil lassen mich vermuten das es sich hier tatsächlich um ein altes Teil handelt. Ein echtes Vintage Kleid also.
Und es scheint selbstgenäht zu sein, wie eine schnelle Überprüfung der Nähte zeigt. Außerdem ist es innen komplett mit weißem Seidenstoff gefüttert. Kosten soll es nur 150 Kronen, ein Schnäppchen also, ich nehme es.
Außerdem kann ich mich nicht halten und kaufe für gerade einmal 250 Kronen ein cremefarbenes Leinenkostüm, das daneben hängt. Auch das scheint richtig echt und alt zu sein. Der klassische Schnitt der frühen 60er Jahre. Gut bepackt nehme ich nun den kurzen Weg zurück zu meinem Auto unter die Absätze.
Die Rückfahrt verläuft ziemlich entspannt und ereignislos. Allerdings fahre ich jetzt hinüber an die Westseite nach Klitmöller und dann direkt an der Nordseeküste entlang in Richtung Süden. In Agger warte ich in der kurzen Schlange auf die Fähre hinüber nach Thyborön. Dazu steige ich noch einmal aus und schaue vorn an der Anlegebrücke ins Hafenbecken.
Dann ist die Fähre da. Die wenigen Autos fahren hinunter und wir vier PKW, die warten, rollen hinauf. Nach dem Ablegen steige ich aus und erklimme die steilen Stufen hinauf aufs Oberdeck, um oben an der Reling übers Wasser zu schauen. Ein wenig komme ich mir wie im Film Titanic vor, als ich mit wehendem Haar und flatterndem Rock dort stehe. Aber es wird mir auch schnell kühl, so im Wind und ich steige wieder hinunter und ins gemütlich warme Auto.
Als ich in Thyborön von der Fähre zur Hauptstraße hochfahre, stelle ich fest, dass ich eventuell mit meinem Benzinvorrat nicht mehr zurück bis nach Trans komme. OK, ich habe zuletzt auf der Hinfahrt noch kurz vor der dänischen Grenze in Süderlügum ganz vollgetankt. Und die vielen kleinen und größeren Ausflüge haben denn doch so einiges an Benzin verbraucht.
Oder komme ich vielleicht doch noch bis nach Trans? Aber das hilft auch nicht viel, dann muss ich morgen noch einmal los und tanken. Und die nächste Tankstelle ist in Törring Huse, etwa acht oder zehn Kilometer weit weg. Oder in Lemvig, wo ich in den nächsten Tagen sowieso noch einmal zum Einkaufen hinmuss. Aber ob ich da noch hinkomme? Und außerdem muss ich für die Heimfahrt nach Deutschland vorher ja sowieso auf jeden Fall noch einmal volltanken. Außerdem, weil für mich bereits feststeht, auch die Heimreise als Frau zu machen, muss Caroline auf jeden Fall tanken. Und warum auch nicht? Schließlich habe ich in den letzten Tagen so einiges gemacht, was ich mir vor dem Urlaub nicht mal in Traum vorstellen konnte.
Mein Blick nach rechts, in Richtung Thyborön zeigt mir in einiger Entfernung die Reklametafeln und Flaggen einer Tankstelle. Richtig, da bin ich doch vor ein paar Tagen erst daran vorbeigefahren. Nach der Attacke durch die spuckende Alte. Da werde ich jetzt tanken!
Zum ersten Male in meinem Leben tanke ich als Frau und es fühlt sich eigentlich überhaupt nicht falsch, verkehrt, oder anders an, als sonst. Auch das Bezahlen mit der Karte funktioniert problemlos. Genauso wie die Weiterfahrt nach Trans, die ich über Strande und Ferring, stets dicht hinter der Küste entlang mache. Gut gelaunt erreiche ich nach einer weiteren guten halben Stunde mein Häuschen.
Hier kann ich mich nicht länger halten und probiere meine Neuerwerbungen in Ruhe der Reihe nach an. Zuerst das Kleid aus dem Kaufhaus. Es sitzt tatsächlich mit dem Top drunter richtig gut. Dazu passen sowohl meine braunen Slingpumps, als auch meine etwas höheren zweifarbig braunen Pumps. Aber auch schwarze Schuhe passen, wegen des schwarzen Grundtones im Kleid, problemlos.
Das cremefarbene Kostüm passt ebenfalls ganz gut. Nur die Kostümjacke geht über meiner Oberweite nicht zu. Ich habe wohl doch ein wenig breitere Schultern als die klassische Dame. Aber mit meiner Rüschenbluse darunter, sieht es einfach richtig gut und feminin aus. Die cremefarbigen Pumps die ich vor ein paar Tagen bei Annagreta gekauft habe, passen dazu farblich sehr gut und ich fühle mich so gekleidet einfach toll, feminin und weiblich. Dieses Ensemble müsste ich an den nächsten Tagen einfach einmal draußen tragen.
Aber wo und zu welchem Anlass wäre das angemessen? In den Läden hier im Umkreis sicherlich nicht. Vielleicht noch einmal nach Holstebro oder Lemvig fahren und dort die Straßen entlang trippeln. Aber passe ich dort hin?
Andererseits bin ich im Moment ähnlich wie die Anwältin letzte Woche in Lemvig gekleidet. Die, die zum Rathaus hinüber stöckelte, in ihrem dunkelblauen Kostüm und den dazu passenden Pumps. Die sah zumindest sehr ähnlich aus wie ich jetzt, in dem cremefarbenen.
Allerdings riecht das Kostüm ein wenig muffig. Es scheint als hätte es sehr lange Zeit in irgendeinem Kleiderschrank gelagert. Aber nachdem ich in das weiße Kleid gewechselt habe, kommt das Kostüm auf zwei Bügel und wird zu lüften seitlich an den Schrank gehängt.
Das Kleid muss allerdings auch zumindest gut auslüften, oder ich wasche es morgen Vormittag einmal. Doch für jetzt beschließe ich es einfach mal anzubehalten. Denn es sitzt richtig gut! Ein Reißverschluss an seiner linken Seite, gepaart mit einem Knopf, der im Nacken zu schließen ist, lassen es mich auch leicht und ohne Verrenkungen anziehen. Sein weites Unterteil schwingt schön beim Gehen und umschmeichelt klassisch meine leicht glänzenden, nylonumhüllten Beine. Ein, wie ich zugeben muss, irre gutes Gefühl. Das müssten die älteren Damen doch sicherlich von früher auch alle noch kennen, oder?
Nur der Ausschnitt ist sehr großzügig. Da schauen die Träger meines Korseletts seitlich hervor. Abhilfe schafft schließlich erst ein Wechsel des Mieders. Das Korselett kommt zurück in den Wäscheschrank und ich nehme einen einfachen Schlüpf Hüfthalter um die Strümpfe zu halten. Oben herum wechsle ich in einen BH der die Träger weit seitlich sitzen hat. Der ist eigentlich dafür gedacht um unter Dirndlblusen getragen zu werden. Jedenfalls habe ich ihn seinerzeit so beschrieben in einem Katalog gesehen und gekauft. Damit nichts rutscht, verlaufen seine Träger dafür auf dem Rücken beide zur Mitte hin. Das war damals ein Kauf dessen Lieferung seinerzeit das allererste Mal an ‚Frau Caroline XY' adressiert war.
Nun probiere ich noch aus, welche Schuhe zu dem Kleid passen könnten. Schwarze Pumps gehen, denn schließlich sind die Stängel und Blätter der Rosen schwarz. Rote würden auch gehen, denn diese passen zu den großen Blüten, die auf dem Stoff zu finden sind. Spaßeshalber schlüpfe ich in die hohen roten Pumps die ich auch vor wenigen Tagen erst, bei Annagreta gekauft habe. Doch deren Rotton ist heller, das beißt sich.
Meine weißen Sandaletten passen sehr gut und sind mit ihren nicht ganz so hohen Absätzen dazu noch echt bequem. Spitzenmäßig sehen dann allerdings meine neuen hochhackigen weißen Pumps aus. Solche Schuhe passen, schon von der Zeit und vom Stil her, absolut zu dem Kleid. Ich drehe und wende mich vor dem großen Spiegel und vergleiche mich gedanklich mit den alten Bildern von Filmstars, die ich irgendwo in meinem Kopf gespeichert habe.
Im Internet finde ich wenig später das, an was ich gedacht habe. Fotos und Filmchen von und mit Sophia Loren aus den 60er Jahren. Doch ihre Frisur war damals anders. Etwa so wie meine ältere, längere, dunkle Perücke ist. Diese hole ich aus dem Schrank und setze sie auf. Ein breiter, weißer Gürtel der farblich exakt zu den Schuhen passt, betont zusätzlich meine Taille. Nun noch den Lippenstift in dunklem, zu den Blüten passendem Rot nachziehen und das Bild im Spiegel ist nahezu perfekt. So fühle ich mich absolut authentisch als Frau. Aber kann ich so wirklich auch hinaus gehen unter die Leute? Sähe ich damit nicht ein wenig wie aus der Zeit gefallen aus? Die 60er Jahre sind schließlich schon lange vorbei.
Um mir zu beweisen das ich so hinausgehen kann, nehme ich das müffelnde Kostüm auf seinen Bügeln und trete auf die Terrasse hinaus. Vorsichtig, und darauf bedacht mit den dünnen Bleistiftabsätzen nicht in die Bretterfugen zu treten, gehe ich die wenigen Schritte und hänge das Kostüm unter dem breiten Vordach zum auslüften auf.
Die Sonne ist noch einmal hervorgekommen und steht schon ziemlich tief am Südwest Horizont. Im Windschatten des Vorbaus ist es angenehm warm. Ich gehe zurück und hole mir meine dünne weiße Wolljacke. So, gut geschützt, mache ich es mir mit meinem Buch in einem der Sessel bequem. Etliche Leute gehen an mit vorbei zum Strand, oder von dort zurück zu ihren Häusern. Viele grüßen zumindest durch Kopfnicken, oder wünschen mir einen schönen Nachmittag. Ganz offensichtlich erkennt keine oder keiner, wer oder was ich in Wirklichkeit bin. Und auch an meinem Vintage Kleid, oder den nicht gerade hochmodischen und hier im Gras sicher absolut unpraktischen Schuhen, scheint sich keiner zu stören, obwohl alle Frauen Hosen und derbe Schuhe tragen. Andererseits hatte die meisten ja nun schon etliche Tage Gelegenheit, sich an mich und meinen femininen Stil zu gewöhnen. Mag sein, dass es inzwischen schon normal scheint, wenn ich wie stets, in Kleid oder Rock sowie hochhackigen Schuhen gekleidet bin.
Doch nach einer knappen halben Stunde wird es mir zu kühl. Wieder drinnen mache ich es mir auf dem Sofa bequem. Allerdings erst, nachdem ich den Ofen angeheizt habe, denn es wird mit tief stehender Sonne schnell kühl im Haus.
Um meine Sprache zu trainieren stelle ich meinen alten Kassettenrecorder vor mir hin und versuche mit meiner weiblichen Stimme laut zu lesen. Für kurze Zeit klappt das schon ganz passabel, wie die Aufzeichnungen zeigen. Aber nach einiger Zeit rutsche ich immer noch in meine männliche Sprechweise ab. Da werde ich viel üben müssen und mich vor allem sehr konzentrieren.