Fragen an Bernd & Marlene Bitzer

Girls Game

Leben Männer und Frauen in so unterschiedlichen Welten? Diese Frage hat Bernd Bitzer sich vor einiger Zeit gestellt und kurzerhand das Leben einer Frau namens „Marlene“ geführt. Und zwar von Kopf bis Fuß. Aus dieser Erfahrung ist das Buch „girls game – meine erstaunliche Reise in die Welt der Frauen“ entstanden. Doch Self-Made-Mann Bernd und Vollweib Marlene sind schon viel länger eine Einheit.

Elle:
Als Journalist ist man belesen, das Schreiben zwingt im positiven Sinne dazu, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, von Neuem zu erfahren, sein Wissenspektrum enorm zu erweitern. Was war der Anlass sich auf ein Spiel einzulassen, bei dem man(n) den Ausgang nicht hervorsehen konnte?

Bernd/Marlene:
Genau das, was mich vor über 30 Jahren auch Journalist werden ließ – meine unbändige Neugier. Und die frühe Erkenntnis, dass in meinem Körper schon immer zwei Seelen wohnen, die mir einen unterschiedlichen Blick auf die Welt ermöglichen. Die vielen Fragen, auf die ich als Kind keine Antworten hatte, wollte und konnte ich so Stück für Stück beantworten. Und das war – auch für den Journalisten – mehr als faszinierend.

Elle:
Haben Sie sich eine To-Do-List zurechtgelegt, die dann jeweils Punkt für Punkt abgehakt wurde oder waren einige Vorgehensweisen auch spontan?

Bernd/Marlene:
Ich hatte mir tatsächlich eine Liste, einen Rechercheplan zurechtgelegt, als ich mich vor rund eineinhalb Jahren an die Vorbereitungen für das Buch machte. Doch mit dem, was dann alles passierte, mit den wirklich unglaublichen Erlebnissen – die teilweise wunderschön und aufregend, aber auch äußerst schmerzhaft waren – hätte ich niemals gerechnet. Was vielleicht sogar besser war…

Elle: Haben Sie den Namen Marlene aus einem bestimmten Grund gewählt?

Bernd/Marlene:
Eine wirklich gute Frage, die bisher noch niemand gestellt hat. Außer ich mir selbst – vor vielen Jahren. Und da ich eine starke und sehr selbstbewusste Frau in mir spürte, fiel die Entscheidung leicht. Wobei die eigentlich Überraschung Jahrzehnte später kam: in meinem Schweizer Freundeskreis diskutierten wir das Thema, wie unsere Eltern uns im jeweils anderen "Fall" genannt hätten. Alle wussten es… nur ich nicht. Also am nächsten Tag bei Muttern angerufen und ganz unauffällig die heikle Frage gestellt. Und dann kam – was mich wie ein Blitz traf – der Name, den ich mir 30 Jahre zuvor selbst gegeben hatte: Marlene.

Elle: Wie schlüpft man in die Haut einer Frau? Mit dem Äusserlichen verändern (hier auch das "kleine" Problem der Grösse von 1,94 m) Kleidung, Make up, ist es ja allein nicht getan?

Bernd/Marlene:
Tatsächlich hat es bei mir mit dem Kledungswechsel nichts zu tun, es ist vielmehr ein inneres, seelisches Umschalten – ein vollständiger Programmwechsel im Gehirn. Und wohl nicht nur dort… manche nehmen den Umstieg an kleinen Bewegungsänderungen Betonung und Ausstrahlung wahr. Eine Freundin meint es sogar am Wechsel meiner Augenfarbe zu erkennen.
 
Der Wechsel in weibliche Kledung addiert dann nur noch die teilweise verblüffende Reaktion der Umgebung. Und meine – auf mich selbst. Und diese Erkenntnis würde ich jedem Mann von Herzen gönnen: wenn ich vor dem Spiegel stehe… und alles, was Mann in mir heisst, voll auf die Frau im Spiegel abfährt. Auch biologisch besehen. Und gleichzeitig begreift, dass den Unterschied nur ein paar Farbflecke an den richtigen Stellen, ein bisschen Form und Bewegung machen … dass Männer einfach unglaublich simpel programmiert sind.
 
Meine Größe ist erstaunlicherweise kein allzu auffälliges Erkennungsmerkmal, wenn ich mit meinen Freundinnen beim Shoppen oder in der Stadt unterwegs bin. Es sei denn, ich stehe abends auf meinen Highheels. Dann wird jede Tür ein gefährliches Problem…

Elle:
Wenn ich das richtig verstanden haben, kam auch ein Hilfsmittelchen aus der Pharmazie zum Einsatz. Hatten Sie da hinsichtlich (Neben-)wirkungen keine Bedenken?

Bernd/Marlene:
Stimmt, wobei mir da meine Neugier fast zum Verhängnis geworden wäre. Ich wollte einfach immer weiter in dieser faszinierende Welt – und erst die erschrockene Reaktion meiner irgendwann eingeweihten Freunde "Hey, es wäre doch wirklich schade um Dich als Mann", brachte mich ziemlich schlagartig zur Besinnung. Warum ein Doppelleben aufgeben, das so viele Jahre bunt, lustig und überaus ereignisreich war? Warum das Aussergewöhnliche zur Normailtät erklären? Und so git es heute eben weiterhin Bernd und Marlene.

Elle:
Wie wir Menschen sind und uns verhalten, ob Frau oder Mann ist teils genetisch vorprogrammiert, einen Teil bestimmen unsere Hormone und der Rest setzt sich aus unseren Erfahrungen und wie wir damit umgehen auseinander.

Bernd/Marlene:
Das war tatsächlich ein für mich äusserst beeindruckendes Ergebnis meines Experiments. Provokant formuliert: Männer stehen ihr ganzes Leben lang unter Drogen. Die einen mehr, die anderen weniger. Ich konnte ganz praktisch nachvollziehen, wie stark der Einfluss von Testosteron, dem männlichen Sexualhormon, auf jede männliche Handlung ist. Heftig ist untertrieben… so stand ich anfangs als Frau oft genug kopfschüttelnd neben dem, was mein männlicher Part gerade vollführte. Und konnte es weder verstehen, noch verhindern. Das hat sich geändert. Erfreulicherweise.

Elle:
Wie ging die Verwandlung äußerlich und innerlich vor sich, wie wurde in Stichpunkten aus Bernd Marlene?

Bernd/Marlene:
Die "innere Verwandlung" ist gar nicht so spektakulär. Fühlt sich an wie der Gang in einen anderen Raum, anderes Licht, andere Einrichtung, andere Stimmung… und ja, deutlich mehr Empfindungen, Gerüche, Geräusche. Der äußere Wechsel ist da deutlich aufwendiger, jede Frau weiss das. Bei mir dauert's eben rund eineinhalb Stunden, je nach Einsatzzweck, macht sehr viel Spass und das Ergebnis erstaunt mich jedes Mal wieder – auch nach vielen Jahren.

Das war für mich die grösste Überraschung. Ich hatte natürlich auch mit Ablehnung gerechnet. Mit dem Verlust einiger Kontakte, unfreundlicher Funkstille. Nicht umsonst wussten über 30 Jahre nur zwei Menschen von meinem erfreulichen Doppelleben. Aber genau das Gegenteil ist passiert: ehrliches Interesse, Anteilnahme, oft deutlicher Respekt. Und alle Freundschaften bleiben erhalten, sind heute sogar noch intensiver als zuvor. Und es sind sehr, sehr viele dazugekommen.

Elle:
"Mit einer Person kann ich sowohl einen Mann als auch eine Frau haben. Das ist ....perfekt!" Meint Jean Paul Gaultier, der französische Modezar. Was ist Ihr Resümee?

Bernd/Marlene:
Wenn es jetzt schon eines geben darf – denn mein Doppelleben geht ja weiter (alleine würde ich das, was jetzt alles kommt, eh' nicht bewältigen…) dann dieses: "Wenn einer die Chance hat, zwischen zwei Welten in ihrer faszinierenden Unterschiedlichkeit zu wechseln, werden Grenzen sehr schnell unwichtig. Und wenn ich mit meinen Erlebnissen, meinem Buch für ein wenig mehr Verständnis zwischen Frauen und Männern beitragen kann, hat es sich mehr als gelohnt. "

Elle:
Sie schreiben über die Frauen als wundervolle Wesen, die den Männern das Leben erst lebenswert machen. Das ist ein wunderschönes Kompliment an alle Frauen, das ich jetzt von Bernd an alle "Elle's" weitergeben möchte.
 
Vielen Dank für dieses erlebnisreiche Interview und diese Einblicke. Ich werde das Buch lesen und allen ans Herz legen, mehr von Bernd und Marlene zu erfahren.

Ein weiteres Interwiev

Frage:
Du hast uns als „Marlene“ äußerst unterhaltsam gezeigt, wie faszinierend das Leben als Frau sein kann. Wie bist du ursprünglich auf die Idee zu diesem Selbsttest gekommen? Kam die Idee zum Buch erst mit dem Test oder war die Idee zum Buch schon vorher da?

Bernd/Marlene:
Pssssst! Das kommt in meinem Buch „girls game“ tatsächlich erst ganz am Schluß ans Licht. Aber soviel kann ich schon verraten: meine erstaunliche Reise in die Welt der Frauen dauert schon eine ganze Weile – seit über 30 Jahren überquere ich als Reisender zwischen den Welten regelmäßig die Grenze und hatte dabei eine Menge verblüffender Erkenntnisse, unglaubliche Erlebnisse… und eine ganze Menge Spaß. Das Buch habe ich vor etwas über einem Jahr begonnen. Als überzeugter Wort- und Bild-Mensch ist es das für mich das ideale Werkzeug, um die ganzen verrückten Geschichten einigermaßen auf die Reihe zu bekommen. Und gleichzeitig viele Menschen an meinem unglaublichen Leben ein wenig teilhaben zu lassen. Vielleicht auch, um ein bißchen von dem Glück zu teilen, das ich über mehr als drei Jahrzehnte erfahren durfte.

Frage:
Auf deiner Webseite habe ich gelesen: „Ohne Marlne hätte Bernd es niemals so weit gebracht.“ Was genau beschreibt dieser Satz und wie viel „Marlene“ steckte vor und nach dem Versuch in dir? Ist der Marlene-Anteil vielleicht sogar gewachsen?

Bernd/Marlene:
Marlene war und ist schon immer ein Teil von mir. Durch meine anfängliche Entscheidung für berufliche Karriere und ein nach außen verhältnismäßig „normales“ Leben konnte ich diesen Teil meiner Persönlichkeit über viele Jahre nur an Wochenenden wirklich ausleben. Wobei diese äußere Verwandlung nicht das Entscheidende ist: Marlene ist immer mit und in mir – meine weiblichen Eigenschaften und Fähigkeiten sind mal mehr, mal weniger präsent. Im letzten Jahr freilich, seit „sie“ auch ganz öffentlich ein Teil von mir sein darf, hat sich das Verhältnis stark zur weiblichen Seite hin verlagert. Und ich mag das sehr :-)

Frage:
Was ist im Laufe deines „Marlene“-Lebens das schönste Erlebnis gewesen? Oder was hat dich evtl. auch sehr als „Marlene“ überrascht?

Bernd/Marlene:
Das ist eine wirklich sehr schwere Frage. Denn es gab im Laufe meines Lebens so viele schöne Erlebnisse mit „Marlene“. Die meisten natürlich, seit ich die erstaunliche Wirkung des Buchs miterleben darf, die schönsten Leserbriefe meiner ganzen Journalistenlaufbahn bekomme und den neuen Mut und die Hoffnung auf Akzeptanz und Respekt bei vielen spüre, die von der Gesellschaft ausgegrenzt und verachtet werden. Oder die zwei Bilder, die jetzt bei Mama auf dem Nachttischchen stehen: eins ich, eins Marlene. Oder die Begegnung mit einer Mutter bei einer der letzten Lesungen, die von der Ablehung ihrer Familie, ihrer Freunde und dem Schmerz ihres Sohnes nach dem Geschlechtswechsel berichtete. Die dann unter Tränen sagte: „Heute abend bin ich zum ersten Mal stolz auf meinen Sohn!“ Das sind Momente, die ich nie vergesse. Ach ja, vielleicht noch eine Geschichte, die mir einer meiner langjährigen und besten Freunde erzählte, 20 Jahre nachdem sie sich tatsächlich zugetragen hat. Er, mit Gattin in Stuttgart unterwegs, sah Marlene mit Freundin die Königstraße entlangschlendern. Und stupste seine Frau begeistert an: „Du, schau mal, da drüben, die Große! Das wäre doch die ideale Frau für unseren Bernd.“

Frage:
Was sind deine zukünftigen Pläne sowohl als Bernd, als auch als Marlene?

Bernd/Marlene:
Ich habe das beste Leben, das ich mir vorstellen kann. Sogar zwei davon! Und da ich keins davon aufgeben, mich nicht für eines der beiden entscheiden muß, kann ich die vielen Vorteile zweier Blickwinkel jetzt nicht nurmehr für mich nutzen – sondern sie auch noch an viele weitergeben! Denn gerade in dieser Verschiedenheit stecken so viele Chancen, so viele ungenutzte Synergieeffekte, steckt soviel positive Energie, daß ich und mein Buch vielleicht ein bißchen zur „Wiederentdeckung der Vielfalt“ beitragen können. Alles in der Natur um uns herum ist Vielfalt, ist Veränderung, ist ständiger Wechsel. Das ist echtes Leben – auch meins.

Frage:
Wie lautet dein Lebensmotto als „Bernd“?

Leb' Dein Leben nicht so, als ob Du noch ein zweites in Reserve hättest.
Nicht jeder hat das auch… :-)

Mehr Informationen zu Bernd / Marlene unter: http://www.girlsgame.tv/