Caroline - Teil 2

Die Nacht über kommt ein schlimmer Sturm auf und ich schlafe entsprechend schlecht. Er heult ums Haus, rüttelt an den Wänden und dem Dach und der Regen peitscht gegen das Fenster. Völlig entnervt ziehe ich schließlich gegen 3 Uhr früh in das zweite kleine Schlafzimmer um. Hier an der windabgewandten Seite ist es ein wenig ruhiger und ich komme doch noch zu ein paar Stunden Schlaf. Kurz nach 8 wache ich auf. Der Sturm hat sich gelegt und einem grauen, trüben Tag mit Regen Platz gemacht.

Ich dusche erst einmal ausgiebig und rasiere mich sehr gründlich. Dann ziehe ich mich wieder komplett als Caroline an. Bei dem Wetter ist an einen Strandspaziergang sowieso nicht zu denken. Genau der richtige Tag eigentlich, um an meinem Laptop die dringenden Arbeiten zu erledigen, die ich leider auch diesmal mit in den Urlaub genommen habe. Also nehme ich wieder einmal außer einem Spitzenslip einen dazu passenden BH der meinen Silikonbrüsten festen Halt gibt. Darüber kommt dann ein Unterhemd und mein Hüfthalter. Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, den Slip doch besser über dem Hüfthalter anzuziehen denn sonst gibt es nachher beim ersten Toilettengang gleich Probleme. So fädle ich die Halter unter dem Slip heraus und streife mir ein Paar hauchzarter naturfarbener Nylons über die Beine. Ich mag dieses ein wenig altmodische Wäschestück, denn es gibt mir das Gefühl, meine Strümpfe fest und sicher zu halten. Außerdem sitzt so ein Hüfthalter viel angenehmer als diese Strapsgürtel die in der Wäschewerbung immer zu sehen sind. Diese Tanzgürtel bieten höchstens jenen Hungerhaken etwas, bei denen die hervorstehenden Beckenknochen unter der dürren Taille diese dünnen Spitzengebilde am herabrutschen hindern. Ein guter Hüfthalter, das haben uns unsere Mütter und Großmütter schließlich jahrelang vorgelebt, halten und formen auch bei nicht optimal femininen Figuren.

Für mich gibt es seit einiger Zeit immer öfter anstatt einer Strumpfhose richtige Nylons unterm Rock oder auch für täglich unter der langen Hose. Und die werden entweder von meinem Hüfthalter oder von meinem Korselett sicher gehalten. Darüber nehme ich heute morgen erst einmal meinen weiten, aber recht kurzen hellen Sommerrock und ein beiges Shirt. Meine Füße stimmen dann darüber ab ob ich dazu die hellen hohen Pumps, oder doch lieber die beigen Slings nehmen soll. Die Slings sind wegen ihrer etwas kräftigeren, jedoch nicht gerade niedrigen Absätze schließlich erste Wahl und auch nach stundenlangem Tragen noch sehr bequem. Mein Make-up kann noch bis nach dem Frühstück warten, schließlich muss sich meine von der Rasur malträtierte Haut erst noch beruhigen. Aber die Perücke muss sein, sonst würde ich doch in Rock und Bluse von draußen etwas lächerlich aussehen. Zwar wird kaum jemand bei diesem scheußlichen Wetter draußen spazieren gehen, aber sicher ist sicher.

So kommt es, dass ich dann als Caroline gemütlich frühstücke und dabei die Nachrichten im Fernseher verfolge. Später sitze ich dann fast zwei Stunden vor meinem Laptop und arbeite konzentriert. Gegen 11:30 beschließe ich, mich zu schminken und das dauert mal wieder eine Stunde. Dafür bin ich dann aber auch anschließend mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Aus dem Spiegel lacht mir Carolines Gesicht entgegen und ich fühle mich wieder einmal richtig großartig.

Nach zwei weiteren Stunden Tipperei bin ich fertig mit dem Text. Der müsste am besten heute noch zur Post, denn ich bin mal wieder spät dran. Mein Versuch, ihn per Email übers Handy zu senden, misslingt natürlich wieder einmal. Hier in dieser Dünenmulde gibt’s häufig kein Netz. Nur wenn ich draußen auf der Terrasse stehe, kann ich telefonieren. Aber bei dem Wetter jetzt mit Laptop und Handy draußen im Rock umher zu geistern und zu warten, entspricht nicht gerade meinen Vorstellungen. Es würde ja auch auf Diskette und per Eilpost gehen. Die gepolsterten Versandtaschen habe ich mitgenommen, aber was muss denn da an Porto drauf? Ich muss dann in die Post und Marken kaufen und das als Caroline. Ob ich das wagen kann? Ein Briefkasten ist auch hier im Feriendorf, aber ohne Porto? Also nach Ramme zur Post fahren. Aber dann doch wohl besser als Stefan, oder? Aber dazu muss ich mich umziehen und das schöne und gut gelungene Make-up müsste auch wieder runter. Ein Trauerspiel! 

Schließlich gewinnt, nach der gestrigen gelungenen Premiere, die verrückte Vorstellung die Oberhand, dass ich auch als Caroline nach Ramme zur Post fahren kann. Was soll denn schon groß passieren?

Ich beschließe allerdings, dazu einen etwas längeren Rock anzuziehen. Kniefrei bei solchem Wetter und mit Strümpfen unterm Rock macht sich bestimmt nicht gut. Vor allem nicht im Auto, denn da rutscht ein Rocksaum nach meinen Erfahrungen doch häufig hoch. Mein heller Rock mit dem Blütenmuster passt gut zu dem Shirt und bedeckt im Stehen sicher meine Knie. Die hellen Slings passen von der Farbe gut dazu und mit deren Absätzen kann ich bestimmt ebenfalls gut Auto fahren. Also ist Umziehen angesagt.

Nach wenigen Minuten bin ich fertig. Meine Handtasche von gestern steht noch gepackt im Flur aber sie passt nicht zu meinem Outfit, also ist Umpacken in die helle angesagt. Die Slings sind herrlich bequem, ich bin froh, sie damals gekauft zu haben, obwohl ich dachte, ich hätte eigentlich genug Schuhe. Allerdings kann eine Frau niemals genug Schuhe haben und das bewahrheitet sich jetzt. Meine Jacke ist dann schnell übergezogen. Jetzt noch die Tasche mit dem dicken Polsterumschlag und es könnte losgehen.

Könnte! Geht aber nicht, denn meine Beine verweigern mir den Dienst. Es ist eine ganz blöde Blockade die mich daran hindert, jetzt einfach hinaus zu gehen, ins Auto zu steigen und nach Ramme zur Post zu fahren. In meinem Kopf spuken nämlich die wildesten Vorstellungen herum. Was alles passieren könnte, wenn die merken, dass ich eigentlich gar keine richtige Frau bin. Erst nach bestimmt 3-4 Minuten gewinnt die Vernunft die Überhand. Gar nichts wird passieren! Schließlich lief auch gestern alles glatt. Niemand, und schon gar nicht hier im liberalen Dänemark wird daraus ein Drama machen. Vielleicht wird jemand lächeln, oder gar lachen über mich, aber das sollte dann eigentlich auch schon alles sein.

Schließlich gebe ich mir innerlich den berühmten Ruck und trete vor die Tür. Den Schirm kann ich Zuhause lassen, es hat aufgehört, zu regnen. Und es geschieht wirklich nichts. Die Leute im Haus gegenüber schauen kurz auf, als ich zu meinem Auto gehe und vertiefen sich dann wieder in ihre Lektüre oder das Fernsehprogramm. Die beiden älteren Leute nebenan gucken ebenfalls nur kurz zu mir hinüber, dann erlischt bei der Frau das Interesse und sie wendet sich ab. Ihr Mann guckt ein wenig neugierig zu mir hinüber, oder kommt mir das nur so vor?

Ich schließe das Auto auf und gleite rückwärts hinein. Die beiden Taschen landen auf dem Beifahrersitz und ich schwinge beide Beine zusammen ins Auto. Geschafft! Nachdem ich mich gesammelt habe, lasse ich den Motor an und rangiere rückwärts aus dem Stellplatz heraus. Heute denke ich daran, sofort das Licht anzumachen, den Fehler werde ich so schnell nicht wieder machen.

Auf den wenigen Kilometern nach Ramme läuft alles wie geschmiert. Schnell bin ich da und an der Post sind natürlich die beiden Parkbuchten besetzt, war ja klar. Kurz überlege ich, ob ich nicht eventuell daneben ... im Parkverbot ... und nur für ein paar Minuten! Aber lieber nicht, einmal die dänische Polizei auf mich aufmerksam gemacht zu haben, reicht mir. Ich fahre ein Stückchen weiter und stelle mein Auto an der Straße ab. Hier ist es erlaubt und die wenigen Schritte zur Post werde ich wohl auch als Frau noch hinkriegen. Ich steige schnell aus und tripple um das Auto herum. Die Handtasche über die Schulter gehängt und die Tragetasche in die Hand nehmen ist eins. Danach schnell abschließen und mit den so oft geübten schnellen kleinen Schritten mache ich mich auf den kurzen Weg zur Post. Ich muss aufpassen und den zahlreichen Pfützen ausweichen, die hier nach dem Regen noch immer zu sehen sind, denn sonst sind meine hellen Slings innerhalb kürzester Zeit aufgeweicht. An  der Tür kommt mir eine ältere Dame in die Quere. Ich lasse sie vorbei und trete dann schnell ein, bevor mich mein Mut verlässt.

Drinnen steht nur noch ein älterer Mann am Schalter und der ist auch schon fertig. Er grinst mich an, während er mich von Kopf bis Fuß intensiv mustert. Hat der etwas bemerkt? Will er etwas von mir? Die wildesten Gedanken schießen mir durch den Kopf. Aber wahrscheinlich will er sich nur einfach die flott gekleidete Frau ansehen. Denn eins ist mir schon gestern klar geworden: Frauen im Rock sieht man(n) hier sehr selten.

So tritt er denn auch an die Seite und beginnt umständlich, seine Papiere in den diversen Jackentaschen zu verstauen. Ich gehe inzwischen mit laut auf dem Fliesenfußboden pochenden Absätzen an den Schalter heran. Die ältere Frau hinter der dicken Glasscheibe schaut mich fragend an als ich den dicken Umschlag drunter hindurch schiebe. Sie fragt mich etwas und ich versuche ihr möglichst leise mit meinen wenigen Dänischkenntnissen zu erklären, dass ich nur das Porto für den Brief, einen Eilbrief, nach Deutschland wissen möchte. Sie stutzt ganz kurz, erkennt mich als deutsche Kundin, lächelt dann wissend, klebt eine bunte Marke und ein Zusatzetikett auf den Umschlag und nennt mir die Summe. Wieder einmal kommt mir das viel zu teuer vor, aber hier oben gibt’s noch keinen € und der Wechselkurs liegt ganz grob bei 1:8. Der andere Kunde hat inzwischen alles verstaut, steht aber immer noch am Ausgang und starrt mich an. Ich werde unruhig, was soll das werden? Doch dann stapft er in seinen Gummistiefeln endlich hinaus.

Die Postfrau lächelt noch immer, und als ich mich entspanne und mein Portemonnaie wieder einstecke sagt sie etwas zu mir. Natürlich verstehe ich nicht viel davon, aber die Bedeutung ihrer Worte wird mir schon klar. Sie meint, soweit ich das verstehen kann, ich sähe hübsch aus. Das gibt mir Auftrieb und ich bedanke mich bei ihr. Schließlich gibt es keinen Grund, noch länger in der kleinen Poststelle zu bleiben und ich verabschiede mich und trete hinaus auf den Gehsteig.

Der ältere Mann steht draußen und hantiert umständlich an seinem Fahrrad herum. Kaum bin ich unterwegs zu meinem Auto, da schiebt er hinter mir her. Ich kann förmlich spüren, dass er mich anstarrt, versuche aber, nicht schneller zu werden. Am Auto öffne ich zuerst die Beifahrertür und lege meine Handtasche hinein. Er bleibt stehen und starrt mich an. Schnell tripple ich ums Auto herum und dann beginnt mich irgendwie der Hafer zu stechen. Während ich aufschließe und die Tür öffne, schaue ich ihn bewusst ganz direkt an. Dabei lasse ich ein hoffentlich strahlendes Lächeln von Stapel. Dann steige ich schnell ein und lasse den Motor an. Bloß weg hier, denke ich noch und kann im Rückspiegel den Mann immer noch stehen und mir nachschauen sehen.

An der Hauptstraße geht es schon wieder, ich werde ruhiger. Und dann auf dem Rückweg überlege ich tatsächlich, ob ich nicht unterwegs beim Köpmand noch schnell ein paar Sachen einkaufen soll. Nicht, dass ich das jetzt herausfordern will, aber in den nächsten Tagen muss ich so oder so einkaufen fahren. Spätestens dann muss Stefan wieder auftauchen. Oder soll ich es wagen als Frau gekleidet die wenigen Sachen, die ich brauche, heute einzukaufen.

Wie so oft mache ich es von etwas abhängig. Diesmal will ich erst sehen wie viele Autos vor dem Laden stehen. Sind es mehr als eins, werde ich weiterfahren und morgen als Mann in Lemvig einen Großeinkauf machen. Parkt nur ein Auto davor, ist das ein gutes Omen und ich werde Brot, Aufschnitt, Joghurt und noch so einiges andere hier holen.

Es steht nur ein alter Honda vor dem Laden. Also denn! Ich werde jetzt als Frau da hineingehen und meinen Einkauf erledigen! Bevor ich es mir anders überlegen kann, halte ich an und steige aus. Aus dem Kofferraum greife ich mir eine Klappbox und betrete schnell den kleinen Laden. Die ältere Frau hinter der Kasse grüßt freundlich wie immer und ich biege ab zur Kühlabteilung. Ich lege Wurst, Käse, Joghurt, Milch usw. in meine Box. Dann noch eine Tafel Schokolade, ein paar Äpfel, eine deutsche Tageszeitung, helles und dunkles Brot und ein paar Kekse. Außerdem finde ich, dass ich mir heute eine Tiefkühlpizza verdient habe und lege sie dazu. Im Laden sind doch noch einige weitere Leute. Die sind wohl zu Fuß hier, aber niemand beachtet mich besonders. So gehe ich ganz nach hinten in die Ecke und suche mir als Belohnung für meinen Mut eine Feinstrumpfhose aus. Als dann einen Moment niemand am Tresen steht, gehe ich schnell hin und lege meine Einkäufe auf den Ladentisch. Die blonde junge Aushilfe schaut mich freundlich an und tippt die Preise ein. Ich packe alles wieder zurück in die Klappbox, will möglichst schnell wieder hinaus kommen, aber schließlich muss ich ja auch noch bezahlen.

Lone, so heißt das Mädel an der Kasse laut ihrem Namensschild an der Brust, lächelt auch dann noch weiterhin freundlich, als ich mich hektisch bemühe, mein Portemonnaie aus der immer noch ungewohnten Handtasche zu zerren. Sie spricht mich auf deutsch an und meint, ich solle mir nur ruhig Zeit lassen, sie schließen doch erst um 17 Uhr. Sie hat mich offensichtlich gleich durchschaut, grinst freundlich über das ganze Gesicht und sagt sie, fände es toll, was ich mache. Und dass sie schon einmal so eine „Kundin“ wie mich gehabt hätte. Das Wort Kundin zieht sie betont in die Länge und grinst weiterhin wie ein Honigkuchenpferd.

Endlich habe ich das Geld in der Hand und kann bezahlen. Niemand sonst im Laden hat offensichtlich etwas mitbekommen. So werde ich wieder ruhiger und nehme das Wechselgeld entgegen. Ob ich denn mit der Qualität der Strumpfhosen zufrieden bin, will Lone dann wissen. Sie selbst trüge ja lieber Hosen, aber zu besonderen Anlässen zieht sie auch Röcke an. Und ob denn die Marke, die ich da eben gekauft hätte, gut sei, will sie nun wissen. Ich versuche ihr möglichst leise zu erklären, dass ich diese Marke auch zum ersten Mal gekauft habe. Aber in ein paar Tagen könnte ich ihr ja einmal mein Urteil über dänische Strumpfhosen übermitteln. Lone strahlt mich an. „Das würdest du tun“ kommt ihre typisch dänisch vertraute Frage. Ich nicke nur und verspreche, demnächst wieder vorbei zu kommen. Sie verabschiedet mich anschließend wie eine Stammkundin und meint ich, solle nur auch an den nächsten Tagen hier einkaufen. Das würde sie gut finden.    

Draußen im Auto atme ich zunächst erleichtert auf und fahre die wenigen Kilometer zurück zum Feriendorf wieder recht entspannt. Dort ist es glücklicherweise noch immer recht still und ich komme fast ungesehen mit meinen Einkäufen zurück ins Haus. Nur der Nachbar zur Rechten sieht mich, wie ich aus den Augenwinkeln bemerke, sehr intensiv an während ich die Klappbox aus dem Kofferraum nehme und anschließend zum Haus hinüber gehe.

Doch es beginnt mir gleichgültig zu werden. Diese Leute aus dem fernen Ruhrgebiet kenne ich nicht, was soll da schon passieren. Die Leute gegenüber kommen ebenfalls nicht aus meiner Stadt, wir werden uns ebenfalls niemals wieder sehen. Und aus meiner Autonummer werden sie kaum erkennen können, wo ich wohne. 

Drinnen ist es kühl geworden, das Feuer im Kaminofen ist erloschen. Klar, da habe ich auch seit dem Vormittag nicht mehr drauf geachtet. Ein paar Minuten später brennt es jedoch wieder hell vor sich hin. Ich schaue, noch immer im längeren Rock, eine nette Sendung im Fernsehen an, während es draußen wieder anfängt zu regnen. Dass ich unterm Rock seit heute morgen schon Damenstrümpfe trage, habe ich bereits fast vergessen. Nur zuerst noch ist es etwas anderes als mit einer Strumpfhose, dann vergesse ich dieses Detail fast und merke es im Laufe des Tages immer weniger. Aber schließlich haben auch unsere Mütter und Großmütter es nur so gekannt und sind damit auch prima zurecht gekommen.

Gegen 18 Uhr wird es endlich trocken und nachdem ich auf den Handy noch immer kein Netz habe, überlege ich, noch einmal zur Telefonzelle hinüber zu gehen. Mit meinem Handy wird es heute, obwohl ich mittlerweile draußen auf der Terrasse stehe, offensichtlich nichts mehr. Kein Netz! Aber vielleicht hat der Sturm der letzten Nacht die Antennen beschädigt. Da im Dorf nicht viel los ist, schlüpfe ich schnell in meine braunen Velourslederpumps, ziehe meine dünne Wolljacke darüber und gehe raus. Aber an der Telefonzelle stehen sie schon an. Bevor ich mich dort präsentiere, gehe ich lieber weiter den Weg hinauf Richtung Hauptstraße. Dort auf dem Asphalt kann ich besser gehen als auf dem Kiesweg und habe nach wenigen 100 Metern direkte Sicht zu den hohen Funkmesstürmen, die auch die Handy-Antennen tragen. Doch obwohl ich von dort die Stroboskopblitze der Masten erkennen kann, wird es noch immer nichts mit dem Handy. Ich will schon umkehren, als ich plötzlich doch ein Netz habe. Weiter östlich im Landesinnern stehen ja auch noch Sender und einen von ihnen kann ich offensichtlich von hier oben empfangen.

Ich rufe noch einmal meine Eltern an, die beide gesundheitlich nicht mehr ganz auf der Höhe sind und darum gebeten haben, sie täglich anzurufen. Dort ist alles OK und zufrieden mache ich mich auf den Rückweg. Seit es aufgehört hat zu regnen sind auch wieder Menschen unterwegs. Doch es macht mir nicht mehr so viel aus, nun von etlichen als Frau gekleidet gesehen zu werden. Ich werde langsam ganz euphorisch! Es kann also doch sein, dass ich meinen Urlaub ganz oder doch zumindest zeitweise als Caroline genießen kann.

Gegen 21 Uhr packt mich die Müdigkeit. Kein Wunder, der Sturm der letzten Nacht hat mich so manche Stunde Schlaf gekostet. So mache ich es mir im Bett gemütlich, lese noch einen Augenblick und schlafe dann schließlich eine ganze Nacht lang tief und fest.

Am nächsten Morgen wache ich frisch und ausgeruht auf und auch das Wetter ist viel besser geworden. Nach der schnellen Morgendusche wird, noch im Bademantel, erst einmal ausgiebig gefrühstückt. Dabei überlege ich, was ich - oder in diesem Fall Caroline - heute anstellen kann.

Während ich beginne, mich genussvoll anzukleiden, kommt mir die Idee, doch die kleine Galerie in Husby zu besuchen. Zwar wäre ich dort dem direkten Kontakt mit Menschen ausgesetzt, aber nach meinen Erfahrungen vom Vortag beschließe ich, es darauf ankommen zu lassen. Außerdem waren bisher selten viele Menschen auf einmal in den kleinen Räumen.

Also heute ein wenig flippiger? Oder doch mehr die konservative Dame? Ich entscheide mich dann doch für konservativ. Aber heute keine Damenstrümpfe, sondern die neue Strumpfhose die ich gestern beim Köpmand mitgenommen habe. Sie sitzt gut! Recht straff, faltenfrei und dezent glänzend. Dazu schlüpfe ich in meinen dunkelblauen engen Rock und darüber kommt die helle Bluse mit dem asymmetrischen Kragen. Deren Abnäher betonen meinen Busen doch recht stark und ich nehme meine Halskette mit den auffälligen blauen Steinen, um ein wenig davon abzulenken. Die schwarze Jacke passt dazu ganz hervorragend. Nun noch die Schuhe. Da gibt es eigentlich nicht viel Auswahl. Entweder schlichte schwarze Pumps oder die dunkelblauen? Dazu habe ich eine passende Handtasche. Also die blauen mit den nicht ganz so hohen Absätzen, auch weil ich damit ganz sicher fahren kann. Dann geht’s zum Schminken in das kleine Bad meines Ferienhauses. Nach Camouflage, Puder und Rouge kommen die Augen dran mit zwar kräftig aufgetragenen aber dezenten Farben. Mascara zweimal aufgetragen betont meine Wimpern und ein Lidstrich von der Mitte nach außen gezogen lässt meine ein wenig eng stehenden Augen optisch etwas weiter auseinander und größer wirken. Ganz zum Schluss kommt mein dunkelroter Lieblingslippenstift drauf. Das ist irgendwie immer der schönste Moment. Dann, wenn das Gesicht fertig ist und meine Lippen in einem satten Rot leuchten, fühle ich mich endlich richtig als Frau. Der Nagellack, der dazu passt, ist ja immer noch auf meinen Nägeln. Meine Perücke steht schon seit gestern Abend fertig frisiert bereit und als ich sie aufgesetzt und ein bisschen zurecht gezupft habe steht endlich Caroline wieder vor mir im Spiegel. Dann lege ich meine Uhr an, stecke ein paar Ringe auf, streife mir den Armreifen über und clipse die dazu gehörigen Ohrclips fest.  

Als nächstes packe ich meine Handtasche um. Die dunkelblaue ist recht geräumig und problemlos kann ich auch noch meine Ersatzstrumpfhose hineinstecken. Zum Schluss schlinge ich ein blau-weißes Tuch um den Hals, schlüpfe in die blauen Pumps und ziehe die Jacke über. Ich bin fertig! Und heute längst nicht mehr so aufgeregt wie noch vor drei Tagen, als ich das allererste Mal als Caroline aus dem Haus gegangen bin. Der Waldspaziergang, aber besonders der Besuch in der Post und beim Köpmand hat mich doch gelehrt, dass ich als Frau offensichtlich ganz gut rüberkomme, bzw. mich die meisten Menschen so gekleidet wenigstens tolerieren.

Mit der Tasche über der Schulter trete ich hinaus und schließe die Tür ab. Bei den ersten Schritten bis zur Hausecke muss ich aufpassen, um mit meinen dünnen Absätzen nicht in die Fugen des Bohlenbelags zu geraten. Aber es fühlt sich gut an auf den Pumps zu gehen. Das kurze Stück durchs Gras ist dann allerdings eine echte Herausforderung! Die kleinen Absätze sinken tief in den aufgeweichten Boden ein und ich muss wohl oder übel praktisch auf Zehenspitzen gehen. Das müssen andere Frauen zwar auch, nur, dass ich hier bisher noch keine Frauen auf Stöckelschuhen gesehen habe. Trotzdem erreiche ich mein Auto und nur der Nachbar zur Rechten hat mich gesehen. Er glotzt richtig ein bisschen peinlich zu mir hinüber. Ich schätze mal, er ist so um die 60-65 Jahre alt und wahrscheinlich erinnere ich ihn einfach an seine Jugendzeit, in der fast alle Frauen noch Röcke, Kleider und richtige Damenschuhe trugen. Als er so ca. 20 war, dürfte auch seine Frau, die ich bisher nur im schlecht sitzendem Schlabberlook gesehen habe, noch wie eine Dame gekleidet herum gelaufen sein. Sonst ist es heute bis auf die spielenden Kinder recht still im Feriendorf. 

Das Einsteigen klappt heute wider auf Anhieb. Damit hatte ich damals, als mich meine Frau verlassen und ich die Freuden des „Frauseins“ entdeckt hatte, doch einige Probleme. Ich weiß noch, dass ich einmal auf einem einsamen Parkplatz mit Perücke, Rock und hohen Pumps das Ein- und Aussteigen aus dem Auto geübt habe. Immer wieder rein ins Auto und wieder raus. Bis es dann klappte und ich nicht mehr mit den Absätzen hängen blieb - bis ich es gelernt hatte, die Knie sittsam geschlossen zu halten und eben wie eine Dame aus dem Auto zu steigen.

So etwas können viele junge Frauen heute nicht mehr so richtig. Ich kann mich erinnern, dass im Fernsehen etwas über die Berlinale gezeigt wurde, wo so manches Sternchen so ungeschickt aus der Limousine kletterte, dass man(n) bis zum Slip hinauf sehen konnte. Das hatten unsere Mütter wahrlich besser drauf.

Ich jedenfalls fahre erst einmal los Richtung Süden. Eine knappe halbe Stunde Fahrzeit liegt vor mir und vergeht wie im Fluge. Schnell, eigentlich viel zu schnell bin ich schon in Husby, und kurz darauf rollt mein Auto auf den Kiesparkplatz bei der kleinen Galerie. Nur ein weiteres Auto steht dort. Es hat ein deutsches Kennzeichen, aber aus der Umgebung von Bremen, also eigentlich keine Gefahr. So pudere ich schnell noch mein Gesicht einmal über und ziehe zum Schluss auch noch meine Lippen nach. Jetzt gibt es keinen Grund mehr nicht einfach auszusteigen und hinein zu gehen, aber es dauert doch noch einige Sekunden, bis ich den inneren Schweinehund überwinden kann.

Doch dann klappt es! Schnell das Auto abschließen und den Schlüssel in die Handtasche gleiten lassen und mit wenigen Schritten, die mit den Absätzen auf dem Kies nicht gerade einfach sind, bin ich an der Tür. Ich trete ein und werde von der Galeristin, die mit einem Paar in der Cafeteria sitzt, freundlich begrüßt. Als weiter nichts geschieht, schaue ich mir erst einmal die Bilder an und die zahlreichen kunsthandwerklichen Gegenstände. Nach und nach klappere ich mit meinen auf dem Steinfußboden deutlich hörbaren Absätzen durch die gesamte Ausstellung. Ein Bild von der Dünenküste gefällt mir ganz besonders und notiere mir sogar den Preis. Ganz zum Schluss dann schaue ich mir auch die Bilder in der Cafeteria an und werde von dem Paar, das dort noch immer sitzt, genauestens gemustert. Aus ihrem Gespräch konnte ich schon vorher entnehmen, dass sie Deutsche sind und auch Maler. Die Frau lächelt mir freundlich zu, aber ihr Mann muss den Macker herauskehren und murmelt etwas von schwule Sau, Tunte, Schwuchtel und Ähnlichem.

Das reicht mir, ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe schnurstracks Richtung Ausgang. Dort holt mich die Galeristin noch knapp ein und will wissen, ob ich nichts kaufen möchte. Ich sage ihr nur, dass ich ziemlich enttäuscht bin und Künstler für toleranter gehalten hatte. Sie erwidert, dass sie doch schließlich nichts für ihre Gäste kann. Das ist natürlich völlig richtig, aber ich kann auch nichts dafür, wenn ihre Gäste die Kunden beleidigen. Ich mag ja in meinem Aufzug vielleicht eine komische Erscheinung sein, aber schwul bin ich nicht. So verlasse ich die kleine Galerie und gehe die wenigen Schritte zum Auto. Ohne einen Blick zurück schwinge ich mich hinein und fahre enttäuscht, gekränkt und auch verunsichert davon.

Ein paar Kilometer weiter bin ich wieder ruhiger geworden und beschließe, den blöden Sprüchen des Machos keine weitere Beachtung zu schenken. Als die Fjand Gaart Boutique näher kommt überlege ich sogar, diesem Laden noch einen Besuch abzustatten. Der Parkplatz ist nicht voll und so biege ich ab und suche mir einen Platz, der schattig ist. In der Sonne hat sich das Auto aufgeheizt und ich möchte nicht anfangen zu schwitzen, denn dann verläuft mein mühsam aufgebrachtes Make-up.

Als niemand zu sehen ist, steige ich aus und gehe auf dem unebenen Boden vorsichtig zum Eingang. Für solche Schuhe wie meine ist der Boden hier allerdings nichts! Kein Wunder, dass man hier kaum Frauen in Röcken und noch viel weniger in hohen Pumps begegnet. Aber ich komme trotzdem unfallfrei zur Tür und drinnen auf dem Fliesenfußboden ist alles vergessen. Meine metallbeschlagenen Absätze machen darauf einen ziemlichen Lärm, aber das stört mich gar nicht. Einige der wenigen Kunden sehen zu mir herüber, aber sie gucken nur ganz kurz, wenden sich dann wieder den Auslagen zu. Ich schlendere die vielen Regale entlang und merke, dass mich gelegentlich der eine oder andere fragende Blick trifft. Doch niemand macht mich an, wie noch kurz vorher in der Galerie. Ich lege einige schöne Sachen in meinen Einkaufskorb und dann noch ein paar Kerzen. Als dann am Kassentresen nicht so viel los ist, trete ich heran und die ältere Dame an der Kasse beginnt alles einzutippen. Diesmal habe ich schon weniger Probleme, mein Portemonnaie aus der Handtasche zu bekommen und als ich gezahlt und alles eingepackt habe, werde ich freundlich verabschiedet. Also war der Vorfall in Husby wohl doch eher eine Ausnahme und ich verspüre immer dringender den Wunsch den ganzen Urlaub als Frau zu verbringen.

Auf dem Rückweg halte ich ganz kurz beim Köpmand an. Ich brauche unbedingt Öl. Das habe ich gestern vergessen. Im Laden ist es nicht voll, aber einige Kundinnen stehen am Tresen und unterhalten sich angeregt. Mit meinem Öl in der Hand überlege ich ob, ich noch so tun soll, als suchte ich etwas, um den Frauen Gelegenheit zu geben, zu verschwinden. Aber da tut sich nichts.

Plötzlich fasst mich jemand am Arm und ich lasse fast die Ölflasche fallen. Es ist Lone, die von hinten aus dem Lager kommt. Sie zieht mich mit sich an das andere Ende vom Tresen und fragt, ob ich noch etwas anderes brauche. Ich verneine und deute auf das Öl. Sie nickt und während ich die Kronen auf den Ladentisch lege, sagt sie leise, dass ich doch keine Angst zu haben brauche. Die Frauen würden mir schon nichts tun. Ich bin mir da nicht so sicher, aber sie lacht nur. Kurz bevor ich gehe, will sie aber noch ausführlich erklärt haben, wie denn die Strumpfhose sitzt. Ich trete ein, zwei Schritte zurück, präsentiere ihr meine Beine in der matt glänzenden, straff und faltenfrei sitzenden Strumpfhose. Sie nickt anerkennend und meint das sie sich dann wohl auch eine davon kaufen wird. Den Frauen ist es offensichtlich nicht verborgen geblieben, was ich da tue. Sie reden plötzlich alle durcheinander. Lone grinst und übersetzt. Die meinen alle, ich hätte ganz tolle Beine, aber es sei schon sehr ungewöhnlich um diese Jahreszeit hier im Rock herum zu laufen. Ja, das mag ja schon sein, aber ich mag eben am liebsten Röcke tragen. Bevor es jetzt irgendwie persönlich wird, kneife ich aus. Raus aus dem Laden und schnell hinein ins Auto! Ich habe kein Verlangen, mich den Frauen gegenüber zu outen.

Auch im Feriendorf scheine ich mittlerweile nicht mehr aufzufallen. Jedenfalls schaut sogar der Nachbar nur ganz kurz zu mir hinüber, als ich aus dem Auto steige. Mit den Taschen und Tüten beladen gehe ich diesmal sogar hinten ums Haus herum. Zwar ist damit der Weg im weichen Gras länger, aber ich will mich nicht zeigen.

Am späten Nachmittag sitze ich noch einmal für eine Stunde draußen auf der Terrasse und lese. Dann, als die Abendbrotzeit kommt, beschließe ich, einmal zum Strand hinunter zu gehen. Aber was soll ich anziehen? Eine Hose, oder einen Rock? Ich trete an meinen Kleiderschrank und begutachte meine Garderobe. Schließlich entscheide ich mich für eine dunkelrote Damenjeans. Dazu passen nämlich meine roten Gummistiefel. Ja ich hatte das Glück rote Gummistiefel in Gr. 42 zu finden und die will ich jetzt am Strand anziehen. Die rotbraune Jacke harmoniert damit und ich finde mich durchaus für einen Strandspaziergang richtig angezogen.

Niemand beachtet mich, als ich losgehe, hinunter zum Strand. Fast eine Stunde gehe ich dort am Wassersaum entlang und erst als die Dämmerung hereinbricht, bin ich zurück. Es war ein tolles Erlebnis, als Frau am Strand zu sein und ich weiß, dass ich das an den nächsten Tagen unbedingt wiederholen werde. Vielleicht sogar einmal im Rock. Den ziehe ich jetzt wieder an, denn Jeans müssen nicht sein.

Nach dem Abendessen wasche ich ab und dann schreibe ich erst einmal meine heutigen Erlebnisse in mein Tagebuch. Danach suche ich meine Bastelsachen heraus und beginne mit Papierarbeiten. Dieses soll angeblich ein typisch weibliches Hobby sein. Na schön, aber schließlich ist ein großer Teil von mir ja auch weiblich, oder zumindest ist meine weibliche Seite stärker ausgeprägt als sonst bei Männern. Nebenbei schaue ich ein interessantes Quiz und gegen 22 Uhr dusche ich und verschwinde ins Bett.

Weiter mit Teil 3